Interview mit Prof. Dr. Wolfgang Barth
Wie Potenzialanalysen Sparkassen bei der vertrieblichen Zielsetzung im Firmenkundengeschäft und einem besseren Benchmarking helfen.
Potenzialanalysen sind der Schlüssel für realistische Wachstumsziele im Firmenkundengeschäft
Prof. Dr. Wolfgang Barth, Professor an der Hochschule für Finanzwirtschaft & Management, ist Experte für das Ermitteln von Marktpotenzialen innerhalb der Sparkassen-Finanzgruppe. Woraus sich die Prognosen zusammensetzen und wie die Analysen Sparkassen nicht nur bei der vertrieblichen Zielsetzung für das Geschäft mit gewerblichen Kunden, sondern auch bei einem besseren Benchmarking helfen, erzählt er im Interview.
Herr Prof. Barth, Sie haben in Ihrer Position an der Hochschule für Finanzwirtschaft & Management die Entwicklung der Potenzialanalyse Firmenkunden für Sparkassen maßgeblich begleitet und vorangetrieben. Was genau hat es damit auf sich?
Die Idee hinter den regionalen Marktpotenzialanalysen besteht darin, herauszufinden, von welchen Faktoren Bestände, Neugeschäft oder Kündigungen bei Finanzdienstleistungsprodukten abhängen, um einen Zusammenhang zwischen regionalen Einflussfaktoren und der Produktnachfrage ableiten zu können.
Wie gehen Sie dabei vor?
Grundsätzlich haben wir das Problem, für regionale Betrachtungen auf keine offiziellen, statistischen Daten zurückgreifen zu können, da Daten zur Marktentwicklung meist nur auf Bundesebene zu finden sind. Für regional tätige Anbieter wie Sparkassen werden diese Daten jedoch benötigt, damit Marktpotenziale eindeutig erkannt und Ressourcen nicht in die falsche Richtung gelenkt werden. Daher sammeln wir in einer zentralen Datenbank entsprechende relevante, regionale Strukturdaten, im Einzelfall bis auf Gemeindeebene, die einen entsprechenden Einfluss auf die Produktnachfrage im Markt haben. Dazu zählen beispielsweise Daten zu Branchenstruktur und Umsatzklassen, Gewerbestatistiken zu An- und Abmeldungen im Markt oder auch die regionale Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes. Liegen gewichtete, relevante Faktoren einer Region in der Summe unter oder über dem Bundesdurchschnitt, wirkt sich das in der Regel auch auf die einzelne Produktnachfrage im Firmenkundengeschäft aus.
Auf unserer granularen Datenbasis haben wir einen statistisch validen methodischen Baukasten entwickelt, mit dessen Hilfe wir flexibel Modelle zu Marktpotenzialen ableiten können, um auf Anpassungen im Markt und einschlägige Trends reagieren zu können. Die Auswertungen ermöglichen im letzten Schritt, Gesamtziele auf Sparkassenebene bis hin zu Zielen für den jeweiligen Endkunden ableiten zu können.
Für welche Bereiche des Bankgeschäfts lassen sich Potenziale im Kontext Ihrer Analysen ermitteln?
Wir orientieren uns mit der Potenzialanalyse am Kundenbedarf. Dieser unterscheidet sich für Privat- und Firmenkunden und lässt sich auf unterschiedliche Produkte übertragen. Im Firmenkundengeschäft beispielsweise auf:
Das entspricht auch den Produktgruppen, die wir jährlich im Rahmen einer solchen Potenzialanalyse abbilden.
Wie veröffentlichen Sie die Ergebnisse der Analyse und wie verteilen Sie diese an die Sparkassen?
Im August wird die Analyse über angeschlossene Sparkassen-Regionalverbände an die Sparkassen ausgeliefert. Darin enthalten sind beispielsweise Informationen zur Entwicklung der Marktvolumina, des sparkasseneigenen Geschäfts und der Marktanteile der letzten drei Jahre sowie Marktprognosen für das laufende Jahr und das Planjahr. Die Marktanteilsbetrachtungen werden um Benchmarks ergänzt, die die strukturellen Rahmenbedingungen der jeweiligen Sparkassen berücksichtigen und direkt valide erkennen lassen, wo Ausbau- und Aufholpotenziale bestehen. Alle Daten sind in Planungstools integriert, so dass die Sparkassen auf Produktebene direkt in die Gesamtbankplanung einsteigen können.
Welche Auswirkungen hat Ihre Analyse damit auf die eigene Positionierung und den Planungsprozess der Sparkassen?
Die Sparkassen können wesentlich besser nachverfolgen, wie gut sie bezogen auf die Struktur ihres Marktgebietes im Vergleich zu anderen Sparkassen dastehen, wo sie konkrete Aufholpotenziale haben, wie die Entwicklung in der Vergangenheit aussah und auf welchem Trendpfad sie sich befinden. Entscheidend ist der Blick über den Tellerrand. Bei einer Orientierung ausschließlich an der Geschäftsentwicklung und Durchschnittsgrößen in der Sparkassen-Finanzgruppe, würde ich mir als Sparkasse die Möglichkeit verschließen, an Trends im Markt zu partizipieren. So hingegen können realistische Wachstumsziele gesetzt werden, die sich am Marktgeschehen orientieren. Ein willkommener Nebeneffekt ist, dass damit auch Anforderungen an das Berichtswesen im Rahmen der Regulatorik erfüllt werden können.
Die Kundenbedürfnisse haben sich auch auf Firmenkundenseite verändert. Welche Haupttreiber können Sie diesbezüglich aus Ihren Analysen ableiten?
Das ist allgemein schwer zu beurteilen, denn es ist produktgruppenspezifisch, welche Einflussfaktoren wo eine Rolle spielen. Die Corona-Pandemie hat sich beispielsweise stark auf die Produktnachfrage im Kreditgeschäft ausgewirkt, was einen wesentlichen Anstieg der Kreditvolumina zur Folge hatte. Innerhalb der Branchen war diese Entwicklung jedoch sehr divers, da Branchen wie der Handel stärker betroffen waren als beispielsweise die Logistik-Branche. Auch Themen wie zuletzt die Niedrigzinsen, Lieferengpässe, Inflationserwartungen, geopolitische Einflüsse sowie die zunehmende Vernetzung im Auslandsgeschäft haben starken Einfluss auf die Prognosen.
Und unvorhergesehene Ereignisse nehmen immer weiter zu. Können unter diesen Vorzeichen noch zutreffende Prognosen getroffen werden?
Typischerweise läuft es so, dass man sich anschaut, was die Treiber für die Marktentwicklung auf Produktebene sind. Das kann man unter normalen Umständen gut identifizieren, aber wenn Umstände wie Corona, der Ukraine-Krieg und der Klimawandel zumindest mittelfristig einwirken, muss berücksichtigt werden, dass sich die Prognose in kürzeren Abständen verändern kann. Deswegen führen wir dann auch in regelmäßigen Abständen Prüfungen durch, um zu schauen, ob es Veränderungen gibt, an die die Prognosen angepasst werden müssen.
Wie unterstützt die Analyse von Potenzialen das Firmenkundengeschäft und insbesondere die Beratung/den Vertrieb?
Die neutralen Analysen unterstützen Sparkassen dabei, realistische Ziele festzusetzen. Wichtig sind hierfür insbesondere die identifizierten Aufbau- bzw. Ausbaupotenziale. Wenn ich diese in Stückvolumen sehe und mit Produktmargen bewerte, kann ich beurteilen, wo es gewinnbringend ist, das jeweilige Geschäft hinzuentwickeln. Das bedeutet vielleicht eine Umverteilung meiner Mitarbeiterkapazitäten, da in einem Bereich aufgrund der aktuellen Entwicklungen mehr Mitarbeiter benötigt werden als in anderen. Die daraus resultierende Transparenz im Planungsmodell gibt dem Mitarbeiter das Gefühl, dass bereits in der Steuerung berücksichtigt wurde, dass er bestmöglich dabei unterstützt wird, Geschäfte zu machen. Dass Sparkasse und Mitarbeiter an einem Strang ziehen, um gemeinsam erfolgreich zu sein und zur Erreichung des Gesamtbankziels beizutragen.
Wie beispielsweise bei dem Thema Nachhaltigkeit, was viele Firmenkunden in den nächsten Jahren beschäftigen wird?
Korrekt. Das Thema Nachhaltigkeit und die Auswirkungen auf die Produkte der Sparkassen-Finanzgruppe stellen ein großes Thema dar. Es wird im Bereich der Investitionskredite einen gewissen Teil geben, der sich mit nachhaltigen Produkten befasst und da ist natürlich spannend zu beobachten, welche Potenziale sich hier auftun. Durch unsere Datenbank haben wir den großen Vorteil, ableiten zu können, welche Branchen im Bereich Nachhaltigkeit am stärksten investieren. Ein interessantes Wachstumsfeld für Banken und Sparkassen, um sich hier frühzeitig zu positionieren.
Können Sie uns einen Ausblick geben, wie Sie das Thema der Potenzialanalyse durch aktuelle Projekte weiterentwickeln?
Wir arbeiten unter anderem an Ansätzen aus dem Bereich Data Analytics. Für die Neukundenakquise haben wir ausgehend von unseren Marktuntersuchungen mit der Deutschen Leasing einen Ansatz bilden können, mit dem schon Akquisitionspotenziale für Neukunden einer Sparkasse bis zur Einzeladresse identifiziert werden können. Die Marktteilnehmer hierzu findet die Sparkasse dann zum Beispiel in der Schufa-Datenbank oder der Datenbank der Creditreform, die zumindest einen großen Teil des Potenzials abbilden. So kann eine durchgängige Sicht vom Gesamtmarkt bis zur Einzeladresse hergestellt werden.
Geht es um den eigenen Kundenbestand, gibt es Data-Analytics-Techniken, die auch von der S-Rating der Sparkassen-Finanzgruppe eingesetzt und weiterentwickelt werden, bei denen aus dem Abschlussverhalten von Kunden einer Sparkasse für die jeweilige Produktgruppe Rückschlüsse gezogen werden, was die Haupttreiber der Produktnachfrage sind. Habe ich diese erkannt, kann ich über eine Art Score Einzelkunden bewerten und auf Produktebene Aussagen treffen, welche Verkaufschancen welches Produkt bei welchem Kunden besitzt.