Der Vertrauensfaktor lässt sich nicht replizieren
Interview mit Dr. Ingo Garczorz, Deloitte Deutschland
Der Vertrauensfaktor lässt sich nicht replizieren
Interview mit Deloitte Deutschland
Stationärer Vertrieb bleibt für Regionalbanken unentbehrlich, wird aber zunehmend digitaler, sagt Dr. Ingo Garczorz, bei Deloitte Deutschland Partner in Financial Advisory und dort für regionale Finanzdienstleister zuständig.
Viele Regionalbanken fragen sich, wie die Zukunft des stationären Vertriebs aussehen soll. Provokant gefragt: Hat er überhaupt eine? Was glauben Sie?
Bei einer Regionalbank gehört stationärer Vertrieb zum genetischen Code. Eine Sparkasse oder Volksbank ohne Filialen kann ich mir jedenfalls in den nächsten fünf Jahren nicht vorstellen. Die interessantere Frage ist, was auf der Fläche passieren soll. Nach meinem Eindruck sind Regionalbanken heute stationäre Vollsortimenter mit gefühlt 60 Prozent der Filialzeit als Servicezeit. Braucht es dieses Potpourri aus Service, Vertrieb und Kontaktpflege?
Was wäre die Alternative?
Die Banken werden versuchen, Servicethemen zu zentralisieren und stärker auf digitalen Kanälen zu behandeln. Einige Leistungen werden sie stationär nicht mehr anbieten. Das ist ein Weg, den weniger regional orientierte Institute bereits gehen. Was sich digital nicht replizieren lässt, ist der Vertrauensfaktor. Die persönliche Beratung, zumindest vor einem Vertragsabschluss. Das ist auch im Kundeninteresse.
Kann ein höherer Vertriebsanteil denn die Kosten einer stationären Präsenz decken?
Das kann er, denn der große Kostenblock ist heute der Service. Serviceentgelte wie Kontoführungsgebühren reichen nicht, um die Personalkosten zu finanzieren und eine Mindestrentabilität sicherzustellen – insbesondere vor dem Hintergrund des aktuellen BGH-Urteils. Künftig wird weniger Personal in der Fläche aktiv sein, wenn die Banken den Service digital abbilden. Absehbar ist auch ein weiterer Filialrückbau.
Stationär bedeutet nicht analog. Brauchen stationäre Berater mehr digitale Unterstützung?
Das ist ein wichtiger Punkt. Filialberater können auch per Video agieren oder über einen Chat. Das hat während der Corona-Pandemie hervorragend geklappt. Deshalb reden wir künftig über hybride Beratertypen, die über den gesamten Multikanal die Kunden dort abholen, wo sie gerade stehen. Viele Regionalbanken versuchen ihr Produktportfolio entsprechend zu gestalten. Wichtig ist, dass die Kunden keinen Chatbots gegenübersitzen, sondern Menschen, zu denen sie einen persönlichen Bezug haben.
Ist das dann überhaupt noch stationärer Vertrieb?
Ja, in dem Sinne, dass es für die Kunden in ihrer näheren Umgebung eine „Außenstelle“ der Bank gibt, mit einer Marketing- und Identifikationsfunktion. Aus ihr heraus kann ich dann voll medial beraten.
Wie viel Mehrwert bringt Künstliche Intelligenz in Ihren Augen?
Die Technik muss in der Lage sein, den Bedarf an neuen Produkten zu erkennen, sei es im Self-Service oder in einer persönlichen Beratung. Das wird über Algorithmen unterstützt und damit passgenauer für die Kunden werden. Ziel ist, dass sie sagen: Ja, das brauche ich. Dann können sie sich für oder gegen das konkrete Produkt entscheiden.
Das Thema Datenschutz spielt auch hier eine große Rolle: Ist eine individualisierte Datenauswertung für Produktempfehlungen zulässig?
Soweit jemand sein Einverständnis gibt: ja. Zudem lassen sich anonymisierte Daten und Pools heranziehen, etwa für Ähnlichkeitsvergleiche. Diese Verfahren werden immer besser.
Filialvertrieb wird also kein Arbeitsplatz für Mitarbeiter, die nicht digital affin sind?
Jeder muss mit digitalen Tools umgehen können, das wird Standard, und das können auch alle Berater. Man wird nicht mehr von Mitarbeitern im stationären Vertrieb reden, sondern von hybriden Mitarbeitern.
Was meinen Sie: Sind – mit Blick auf die alternde Bevölkerung – auch Hausbesuche denkbar oder Vor-Ort-Beratungen, etwa in Seniorenheimen?
Das wird schon heute aus dem stationären Vertrieb heraus gemacht. Warum hat man es nicht so gemerkt? Weil der Vertriebsanteil gemessen am Serviceanteil der kleinere war. Daran muss man arbeiten.
Ein viel gebrachtes Argument ist ja, dass viele Kunden großen Wert darauf legen, Bankgeschäfte vor Ort persönlich zu erledigen.
Corona hat gezeigt, dass ein Großteil der Kunden digitales Banking kann und mittlerweile auch schätzt. Natürlich wird man die Servicefragen nie hundertprozentig in digitale Kanäle lenken können. Aber es gibt noch reichlich Potenzial, diese Kanäle zu intensivieren. Nach einer Anpassungszeit wird das in der Regel positiv wahrgenommen. Einfaches Beispiel: Kontoauszüge holte man früher am Schalter ab, dann am Drucker in der Filiale. Jetzt erhalten sie immer mehr Kunden digital und es stellt sich die Frage, ob Drucker entbehrlich sind – auf die Gefahr hin, einen kleinen Prozentsatz von Kunden zu verärgern.
Sie könnten zu anderen Instituten wechseln.
Das wird ihnen nicht viel bringen. Es handelt sich um einen generellen Trend.
Was ist mit Menschen, die digitales Banking überfordert, etwa Hochbetagte oder Behinderte? Brauchen wir eine sozialpolitische Komponente im Banking?
Diesen Menschen wird, sofern nötig, heute schon geholfen. Eine sozialpolitische Komponente haben wir bei den Sparkassen dahingehend, dass jeder ein Guthabenkonto eröffnen kann, es besteht Kontrahierungszwang. Einen Bedarf darüber hinaus sehe ich nicht.
Gibt es Banken im Ausland, die Sie im stationären Vertrieb als vorbildlich ansehen?
Es gibt viele spannende Konzepte im Ausland. Aber sie blind zu übertragen wäre gefährlich. Man muss den Kontext des jeweiligen Marktes betrachten und sich fragen, warum ist dieses Konzept dort so erfolgreich? In England hat die am schnellsten wachsende Bank, die Metro Bank, eine extrem hohe Serviceorientierung – bis hin zu Regenschirmen.
Na klar, wo es in England doch immer so viel regnet …
Genau, deshalb glaube ich auch nicht, dass dieses Konzept in Deutschland so eins zu eins funktionieren würde! (lacht). Nein, im Ernst: Ich denke, Regionalbanken können und müssen noch stärker das regionale Element ihres Tuns herausstellen, und das kann je nach Region unterschiedlich sein. Nehmen Sie zum Beispiel die Volksbank Mittweida in Sachsen, die es geschafft hat, sich ganz maßgeblich als Motor einer Technologie-Region zu positionieren, gemeinsam mit dem Innovationszentrum Werkbank 32 und weiteren Initiativen. Das schafft Mehrwerte für die Region und natürlich auch für die Regionalbank selbst.